Mittwoch, 23. September 2009

Belsazar

Heinrich Heine

Die Mitternacht zog näher schon;
In stummer Ruh’ lag Babylon.

Nur oben in des Königs Schloß,
Da flackert’s, da lärmt des Königs Troß.

Dort oben in dem Königssaal
Belsazar hielt sein Königsmahl.

Die Knechte saßen in schimmernden Reihn
Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.

Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht’;
So klang es dem störrigen Könige recht.

Des Königs Wangen leuchten Glut;
Im Wein erwuchs ihm kecker Mut.

Und blindlings reißt der Mut ihn fort,
Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.

Und er brüstet sich frech und lästert wild;
Die Knechtenschar ihm Beifall brüllt.

Der König rief mit stolzem Blick;
Der Diener eilt und kehrt zurück.

Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt;
das war aus dem Tempel Jehovas geraubt.

Und der König ergriff mit frevler Hand
Einen heiligen Becher, gefüllt bis zum Rand.

Und er leert ihn hastig bis auf den Grund
Und rufet laut mit schäumendem Mund:

„Jehovah! dir künd’ ich auf ewig Hohn -
I c h bin der König von Babylon!“

Doch kaum das grause Wort verklang,
Dem König ward’s heimlich im Busen bang.

Das gellende Lachen verstummte zumal;
Es wurde leichenstill im Saal.

Und sieh! und sieh! an weißer Wand,
Da kam’s hervor wie Menschenhand;

Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.

Der König stieren Blicks da saß,
Mit schlotternden Knien und totenblaß.

Die Knechtenschar saß kalt durchgraut,
Und saß gar still, gab keinen Laut.

Die Magier kamen, doch keiner verstand
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.

Belsazar ward aber in selbiger Nacht
Von seinen Knechten umgebracht.



Eine einführende Bemerkung findet sich hier:
http://delectatvariatio.blogspot.com/2009/09/menetekel.html

Dienstag, 1. September 2009

Ein Märchen aus tausendundeiner Nacht

oder: Der Traum vom Glück

Der arabische Geschichtsschreiber Al Isháki berichtet folgenden Vorfall:

Von glaubwürdigen Menschen wird erzählt (aber Allah allein ist allwissend und allmächtig und erbarmungsvoll und schläft nicht), daß es in Kairo einen mit Reichtümern gesegneten Mann gab, der aber so großmütig und so freigebig war. daß er sie alle einbüßte, außer dem Haus seines Vaters, und daß er sich genötigt sah, zu arbeiten, um sein Brot zu verdienen. Er arbeitete so hart, daß ihn eines Abends unter einem Feigenbaum in seinem Garten der Schlaf übermannte, und im Traum erblickte er einen vermummten Mann, der ein Goldstück aus seinem Munde zog und zu ihm sprach:

„Dein Glück ist in Persien, in Isfahan, geh dorthin und suche es.“

Am folgenden Morgen machte er sich auf und unternahm die weite Reise und trotzte den Gefahren der Wüsten, der Schiffe, der Seeräuber, der Götzendiener, der Flüsse, der wilden Tiere und der Menschen.

Zuletzt erreichte er Isfahan, aber innerhalb dieser Stadt überraschte ihn die Nacht, und er streckte sich zum Schlaf im Hof einer Moschee aus. Dicht bei der Moschee war ein Haus, und nach dem Ratschluß Gottes des Allmächtigen durchquerte eine Räuberbande die Moschee und begab sich in das Haus, und die Leute, die darinnen schliefen, wachten bei dem Getöse der Räuber auf und riefen um Hilfe. Auch die Nachbarn schrien, bis der Hauptmann der Nachtwächter dieses Bezirks mit seinen Leuten herbeieilte und die Räuber über die Dachterrasse flüchteten. Der Hauptmann ließ die Moschee durchsuchen, und in ihr stießen sie auf den Mann aus Kairo und versetzten ihm mit Bambusstöcken so hageldichte Schläge, daß er dem Tode nah war. Zwei Tage später kam er im Gefängnis zur Besinnung.

Der Hauptmann ließ ihn holen und sprach zu ihm:
„Wer bist du, und was ist deine Heimat?“

Der andere erklärte:
„Ich bin aus der berühmten Stadt Kairo, und mein Name ist Mohammed El Magrebí.“

Der Hauptmann fragte ihn:
„Was führte dich nach Persien?“

Der andere entschloß sich zur Wahrheit und sagte ihm:
„Ein Mann hieß mich im Traum nach Isfahan gehen, denn hier sei mein Glück. Nun bin ich in Isfahan und sehe ein, daß dieses Glück, das er mir verhieß, die Prügel gewesen sein müssen, die Ihr mir so freigebig gespendet habt.“

Als er diese Worte hörte, lachte der Hauptmann so, daß er seine Weisheitszähne entblößte; am Ende sagte er:
„Törichter und leichtgläubiger Mann, schon dreimal habe ich von einem Haus in der Stadt Kairo geträumt, hinter dem ein Garten ist und in dem Garten eine Sonnenuhr und hinter der Sonnenuhr ein Feigenbaum und hinter dem Feigenbaum ein Brunnen und unter dem Brunnen ein Schatz. Ich habe dieser Lüge nie den geringsten Glauben geschenkt. Du jedoch, mißgeborener Sohn einer Mauleselin und eines Dämonen, bist von Stadt zu Stadt geirrt, einzig im Vertrauen auf deinen Traum. Laß dich in Isfahan nicht wieder blicken. Nimm diese Münzen und scher dich fort.“
Der Mann nahm sie und kehrte in seine Heimat zurück.
Unter dem Brunnen in seinem Garten (es war der Garten im Traum des Hauptmanns) grub er den Schatz aus. So schenkte ihm Gott Segen und belohnte und erhöhte ihn. Gott ist der Edelmütige, der Verborgene.“

(Die 351. Nacht)